BFH, Urteil v. 17.12.2009 - III R 92/08 (2024)

BFHUrteil v. - III R 92/08 BStBl 2014 II S. 190

Gründe

I.

1DerKläger und Revisionskläger (Kläger) kaufte am ein Reihenhausgrundstück von einer GmbH, an der er zur Hälftebeteiligt war. Die GmbH hatte das zu diesem Zeitpunkt im Rohbau fertiggestellte Haus auf ihre Kosten zu vollenden. Der Kaufpreis betrug200.000DM. Davon waren 150.000DM zwei Wochen nach Eintragung derAuflassungsvormerkung fällig; diese Rate überwies der Kläger am. Die restlichen 50.000DM, nach §6 desnotariellen Kaufvertrages fällig bei vertragsgemäßerÜbergabe, wurden am gezahlt.

2MitVertrag vom vermietete der Klägerdas Haus ab dem für unbestimmte Zeit zu einerKaltmiete von 1.250DM.

3Nacheiner vom Kläger vorgelegten privatschriftlichen Vereinbarung vom stundete die GmbH die Zahlung der restlichen 50.000DMbis zum und bestätigte eine Änderung von§6 des Kaufvertrages, wonach das Kaufobjekt mit Rücksicht aufden geplanten Einzug der Mieterin am übergeben wordensei.

4DenAntrag auf eine Investitionszulage für den Mietwohnungsbau iminnerörtlichen Bereich lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (dasFinanzamt —FA—) ab, weil die Anschaffung neuer Gebäude bis zumEnde des Jahres der Fertigstellung nur gefördert werde, wenn diese vor dem erfolgt sei (§3 Abs.1 Satz1Nr.4, Abs.2 Satz1 Nr.2 des Investitionszulagengesetzes—InvZulG— 1999). Der Kläger habe das Gebäude erst imFebruar 2002 angeschafft, weil er erst zu diesem Zeitpunkt die letzteKaufpreisrate gezahlt und damit die Voraussetzungen für eine Übergabedes Kaufobjektes geschaffen habe. Der Einspruch blieb erfolglos.

5DasFinanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es entschied (Urteil vom 2K460/05), der Kläger habe dieInvestition nicht vor dem abgeschlossen. Die Anschaffungwerde im Zeitpunkt der Lieferung verwirklicht (§9a der Einkommensteuer-DurchführungsverordnungEStDV—). Geliefert werde ein Wirtschaftsgut,wenn der Erwerber nach dem Willen der Vertragspartner darüberwirtschaftlich verfügen könne. Dies sei bei Grundstückenregelmäßig der Zeitpunkt, zu dem nach den vertraglichenVereinbarungen Eigenbesitz, Gefahr, Nutzen und Lasten auf den Erwerberübergingen. Die Übergabe sei in §6 des Kaufvertrages vonder Bezugsfertigkeit und der Zahlung des Kaufpreises abhängig gemachtworden, den der Kläger erst im Februar 2002 und somit nach Ende desfür die Gewährung der Zulage maßgeblichen Zeitpunktes beglichenhabe.

6Eskönne dahinstehen, ob die vom Kläger vorgelegte privatschriftlicheAbrede vom tatsächlich an diesem Tage oder erstnachträglich getroffen worden sei, denn der notarielle Kaufvertrag habenur durch eine ebenfalls notariell beurkundete Abrede geändert werdenkönnen. Die Heilung einer gegen die Beurkundungspflicht verstoßendenAbrede trete nach §311b Abs.1 Satz1 desBürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ohneRückwirkung erst mit dem Zeitpunkt der Auflassung und Eintragung imGrundbuch ein, im Streitfall also am . Durch den Abschlussdes Mietvertrages im Juli 2001 und die tatsächliche Vermietung abSeptember 2001 sei der Kläger nicht wirtschaftlicher Eigentümergeworden, da er den Eigentümer —die GmbH— nicht auf Dauer vonder Einwirkung auf das Grundstück habe ausschließenkönnen.

7ZurBegründung der Revision trägt der Kläger vor, der Zeitpunkt derAnschaffung werde durch den Erwerb des wirtschaftlichen Eigentums bestimmt,d.h. durch den Übergang von Eigenbesitz, Gefahr, Nutzen und Lasten. ImStreitfall sei das Grundstück tatsächlich bereits zum September 2001übergeben worden. Die Übergabe vor der Zahlung des Restkaufpreisessei in der notariellen Urkunde nicht ausgeschlossen worden und auch nichtgemäߧ311b BGBunzulässig. Nach Besitzübertragung habe der noch alsEigentümerin eingetragenen GmbH kein Herausgabeanspruch gemäߧ985 BGBzugestanden (, BGHZ 90, 269).

8DerKläger beantragt sinngemäß, das FG-Urteil sowie dieEinspruchsentscheidung aufzuheben und die Investitionszulage für das Jahr2001 auf 9.082,59€ festzusetzen.

9Das FAbeantragt, die Revision zurückzuweisen.

II.

10DieRevision ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Sachean das FG zurückzuverweisen, weil seine Feststellungen nicht für eineabschließende Entscheidung ausreichen, ob der Kläger schon vor dem wirtschaftliches Eigentum an dem Reihenhaus erlangt hat(§126 Abs.3Satz1 Nr.2 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

111. Nach§3 Abs.1 Satz1 Nr.4 und Abs.2 Satz1Nr.2InvZulG 1999 ist die Anschaffung neuerGebäude bis zum Ende des Jahres der Fertigstellung begünstigt, wennsie der Anspruchsberechtigte nach dem und vor dem abschließt. Abgeschlossen sind Investitionen i.S. des§3Abs.1 Satz1 Nr.4 InvZulG 1999 mit demZeitpunkt der Anschaffung des Gebäudes (§3 Abs.2 Satz3InvZulG 1999).

122. UnterAnschaffung ist im Ertragsteuer- wie im Investitionszulagenrecht der Erwerbeines bereits bestehenden Wirtschaftsguts zu verstehen. Angeschafft wird imZeitpunkt der Lieferung (§9aEStDV). Geliefert ist das Wirtschaftsgut, wenn derErwerber nach dem Willen der Vertragsparteien darüber wirtschaftlichverfügen kann. Das ist bei der Übertragung eines Grundstücks inder Regel der Zeitpunkt, zu dem Eigenbesitz, Gefahr, Nutzen und Lasten auf denErwerber übergehen (, BFHE 213, 178,BStBl II 2006, 774; vom IIIR17/05, BFH/NV 2007, 975,jeweils m.w.N.).

13Das FGist zutreffend hiervon ausgegangen, hat den Zeitpunkt der Anschaffung aber zuUnrecht danach bestimmt, wann der Kläger aufgrund des notariellenKaufvertrages die Übergabe beanspruchen konnte. Maßgeblich istdagegen, wann Besitz, Nutzungen, Gefahr und Lasten tatsächlichübergingen.

14a) DerBesitz einer Sache wird durch die Erlangung der tatsächlichen Gewaltüber die Sache erworben (§854Abs.1 BGB). Dies kann geschehen, indem der bisherigeBesitzer die Sache übergibt; gleichgestellt ist die einseitigeBesitzergreifung durch den Erwerber mit Einverständnis desÜbergebenden (, Neue Juristische Wochenschrift 1979, 714, 715; Erman/Lorenz,BGB, 12.Aufl., §854Rz13). Der Besitz an Grundstücken kann auch durch die Übergabeder Schlüssel übertragen werden (, BGHZ 27, 360, 362;Staudinger/Bund (2007), §854 Rz41).

15Bei derÜbergabe handelt es sich um einen Realakt, d.h. um eine auf einentatsächlichen Erfolg gerichtete Willensbetätigung; Willensmängelsind dabei unerheblich (Diep in: jurisPK-BGB,4.Aufl. 2008,§854 BGBRz20). Der Besitz kann zu einem späteren oder —wiemöglicherweise im Streitfall— zu einem früheren als demkaufvertraglich vorgesehenen Zeitpunkt übertragen werden.

16b) DieÜbergabe einer verkauften Sache —auch eines Grundstücks(Palandt/Putzo,Bürgerliches Gesetzbuch,69.Aufl., §446 Rz2)— bewirkt gemäߧ446 BGB,dass die Gefahr des zufälligen Untergangs und der zufälligenVerschlechterung auf den Käufer übergehen; von der Übergabe angebühren dem Käufer die Nutzungen und trägt er die Lasten. DerZeitpunkt des Eigentumserwerbs ist insoweit unerheblich (Palandt/Putzo, a.a.O.,§446 Rz13). Die Regelung des§446 BGBist im Streitfall nicht —z.B. durch Vereinbarung eines von derÜbergabe unabhängigen Gefahrüberganges— abbedungen worden(vgl. Palandt/Putzo, a.a.O., §446 Rz3 zu dem insoweitgeltenden Formzwang des§311bBGB).

17c) Wenndas verkaufte Gebäude, wie der Kläger behauptet, vor Zahlung desrestlichen Kaufpreises und damit früher als nach §6 desKaufvertrages vorgesehen übergeben wurde, konnte die GmbH alsVerkäuferin danach die Herausgabe (Rückgabe) nicht mehr verlangen,denn dem Kläger stand, soweit die GmbH nicht z.B. wegen Zahlungsverzugesvom Vertrag zurücktrat, gemäߧ986 Abs.1Satz1 BGB ein Recht zum Besitz zu (vgl.Staudinger/Gursky (2006), §986 Rz14, m.w.N.).

183. DieSache ist nicht entscheidungsreif. Bislang ist weder festgestellt worden, obdas Reihenhaus —wie vom Kläger behauptet— tatsächlich imJahr 2001 übergeben wurde —ggfls. im Zusammenhang mit derVermietung—, noch ob daraus die sich nach§446 BGBergebenden Folgerungen gezogen wurden —z.B. ob der Kläger dieGrundstückslasten getragen und die Miete vereinnahmt und nicht an die GmbHweitergeleitet hat—.

Fundstelle(n):
BStBl 2014 II Seite 190
BB 2010 S. 665 Nr. 10
BBK-Kurznachricht Nr. 7/2010 S. 298
BFH/NV 2010 S. 757 Nr. 4
BFH/PR 2010 S. 198 Nr. 5
BStBl II 2014 S. 190 Nr. 4
DB 2010 S. 541 Nr. 10
DStRE 2010 S. 430 Nr. 7
KÖSDI 2010 S. 16912 Nr. 4
NWB-Eilnachricht Nr. 11/2010 S. 803
StB 2010 S. 140 Nr. 5
StBW 2010 S. 207 Nr. 5
StuB-Bilanzreport Nr. 7/2010 S. 289
WPg 2010 S. 427 Nr. 8
GAAAD-39282

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