Verlustvorträge (NOLs) in der Bewertung berücksichtigen: So geht's | DIY Investor (2024)

Verlustvorträge (NOLs) in der Bewertung berücksichtigen: So geht's | DIY Investor (1)

Inzwischen habe ich den Themenkomplex Ertragsteuern ja bereits in mehreren Artikeln auf DIY Investor behandelt. Was bisher allerdings noch fehlt – und was ich hiermit gerne nachholen möchte – ist die Beschreibung eines Ansatzes für den Umgang mit Verlustvorträgen in der Unternehmensbewertung. Ist im Grunde genommen aber auch nicht besonders kompliziert, jedenfalls in der Theorie.

Also starten wir mal los.

Inhaltsverzeichnis

  • Was sind Verlustvorträge bzw. Net Operating Losses (NOLs)?
    • Ertragsteuern ohne Berücksichtigung von Verlustvorträgen
    • Ertragsteuern mit Berücksichtigung von Verlustvorträgen
  • Verlustvorträge versus latente Steuern auf Verlustvorträge
  • Ansatz von latenten Steuern auf Verlustvorträge
  • Begrenzung der Nutzung von Verlustvorträgen
  • Berücksichtigung von Verlustvorträgen (NOLs) im Finanzmodell
  • Key Take Aways

Was sind Verlustvorträge bzw. Net Operating Losses (NOLs)?

Verlustvorträge (bzw. im Englischen Net Operating Losses oder NOLs) sind aufgelaufene Verluste aus vergangenen Geschäftsjahren, die mit aktuellen bzw. zukünftigen Gewinnen verrechnet werden können und so die aktuelle bzw. zukünftige Steuerlast mindern.

Um die Logik hinter der Verwendung von Verlustvorträgen zu illustrieren, habe ich einmal ein ganz einfaches Beispiel aufbereitet.

Ertragsteuern ohne Berücksichtigung von Verlustvorträgen

Nehmen wir einmal die zwei folgenden virtuellen Unternehmen und betrachten diese über einen Zeitraum von zwei Geschäftsjahren… zunächst mal ohne die Berücksichtigung von Verlustvorträgen. Wesentliche Annahme: Der Ertragsteuersatz liegt für beide Unternehmen bei 30%.

Unternehmen Nr. 1 erwirtschaftet nun im ersten Jahr einen Vorsteuergewinn in Höhe von 100 Mio. EUR und schafft es, diesen im zweiten Jahr konstant zu halten. Über die zwei Jahre erzielt das Unternehmen also insgesamt einen Vorsteuergewinn von 200 Mio. EUR. Daraus folgt, dass das Unternehmen Nr. 1 in beiden Jahren jeweils 30 Mio. EUR Ertragsteuern auf den Gewinn zahlen muss (also in Summe 60 Mio. EUR über zwei Jahre).

Unternehmen Nr. 2 macht im ersten Jahre einen Verlust von 100 Mio. EUR, kann diesen aber im zweiten Jahr mit einem Gewinn in Höhe von 300 Mio. EUR mehr als kompensieren. In Summe hat Unternehmen Nr. 2 also ebenfalls 200 Mio. EUR über zwei Jahre erwirtschaftet. Bei der Steuerbelastung gibt es allerdings einen Unterschied. Da das Unternehmen im ersten Jahr keinen Gewinn erwirtschaftet, muss es auch keine Steuern zahlen… logisch. Im zweiten Jahr hingegen ist die Steuerbelastung mit 90 Mio. EUR aufgrund des hohen Gewinns umso schmerzhafter.

Hier einmal die grafische Übersicht über die Zahlen:

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In Summe zahlt also das Unternehmen Nr. 2 aufgrund der unterschiedlichen Verteilung der Gewinne über die Zeit (und weil der Staat keine Steuergutschriften auf Verluste auszahlt) insgesamt 30 Mio. EUR mehr als das Unternehmen Nr. 1.

Um diese Benachteiligung zu vermeiden, erlaubt der Gesetzgeber das „Vortragen“ der Verluste auf zukünftige Jahre und die Verrechnung mit zukünftig erwirtschafteten Gewinnen.

Ertragsteuern mit Berücksichtigung von Verlustvorträgen

Betrachten wir das gleiche Beispiel einmal mit der Berücksichtigung von Verlustvorträgen, verändert sich das Bild wie folgt:

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Unternehmen Nr. 2 kann nun den im ersten Jahr aufgelaufenen Verlust mit dem Gewinn des zweiten Jahres verrechnen (in der obigen Abbildung in Orange dargestellt) und muss dem entsprechend im zweiten Jahr nur noch 200 Mio. EUR versteuern. Die resultierende Steuerlast ist nun mit 60 Mio. EUR (30% von 200 Mio. EUR EBT) identisch zur Steuerlast des Unternehmens Nr. 1.

Das Vortragen und Verrechnen von NOLs führt also zu einer gerechten Besteuerung beider Unternehmen.

Bzgl. der Nutzung der Verlustvorträge solltet ihr allerdings beachten, dass diese nicht den Vorsteuergewinn verändern, sondern nur die Steuerlast mindern. Die Steuerberechnung ist also sozusagen eine Schattenrechnung neben bzw. im Hintergrund der P&L.

Hat ein Unternehmen hohe Verlustvorträge aus der Vergangenheit, dann kann die Nutzung in den kommenden Jahren also zu einem signifikanten positiven Effekt auf den freien Cash Flow führen. Dies sollten wir in unserer Bewertung entsprechend berücksichtigen.

Verlustvorträge versus latente Steuern auf Verlustvorträge

Nun da wir einmal verstanden haben, was Verlustvorträge bzw. Net Operating Losses genau sind, müssen wir uns noch fragen, an welcher Stelle des Jahresabschlusses wir diese Verlustvorträge nun genau finden. Die einfache Antwort auf diese Frage lautet: Meistens bestenfalls im Fließtext des Anhangs zum Konzernabschluss (in den Fußnoten zu den Ertragsteuern und / oder den latenten Steuern)… wobei es auch Ausnahmen gibt: American Tower beispielsweise inkludiert eine recht detaillierte tabellarische Aufstellung inklusive der Verfallsdaten für alle Verlustvorträge.

Was aber noch viel wesentlicher ist: Wir sollten nicht die Verlustvorträge mit den latenten Steuern auf Verlustvorträge verwechseln.

Im folgenden Schaubild habe ich einmal versucht zu verdeutlichen, wie Verlustvorträge und latente Steuern auf Verlustvorträge zusammenhängen:

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Ganz generell kann man sagen, dass die latenten Steuern auf Verlustvorträge nur den steuerlichen Anteil der Verlustvorträge berücksichtigen.

Im obigen Beispiel wird im ersten Jahr eine latente Steuerforderung (ein DTA) in Höhe von 30 Mio. EUR gebildet. Das ist der positive steuerliche Effekt, der aus der Abzugsfähigkeit des Verlustvortrags in Höhe von 100 Mio. EUR in Zukunft zu erwarten ist. Im zweiten Jahr wird der Verlustvortrag dann verwendet, um den Vorsteuergewinn zu mindern. Die Steuerforderung wird damit realisiert und der DTA dem entsprechend aufgelöst.

In der Regel werden wir in der Bilanz übrigens keinen expliziten Posten zu den latenten Steuern auf Verlustvorträge finden, da nur die Nettoposition der latenten Steuern dargestellt wird. Hierfür müssen wir uns also die entsprechenden Fußnote zum Thema „latente Steuern“ ansehen.

Ansatz von latenten Steuern auf Verlustvorträge

Im Gegensatz zu den passiven latenten Steuern, die eigentlich immer angesetzt werden (es sei denn eine Umkehrung der Effekte ist noch nicht absehbar), gibt er beim Ansatz von aktiven latenten Steuern, also i.W. Steuerforderungen gegenüber dem Finanzamt, ein paar Dinge zu berücksichtigen. Latente Steuerforderungen können nämlich nicht zwangsläufig in ihrer gesamten Höhe angesetzt werden, sondern nur bis zu der Höhe, in der eine Realisierung innerhalb der nächsten Jahre wahrscheinlich ist.

Eine Realisierung ist wahrscheinlich, wenn entweder

  • bereits ausreichende latente Steuerschulden zur Verrechnung vorhanden sind oder
  • wenn darüber hinaus die Unternehmensplanung für die nächsten 4-5 Jahre von ausreichenden Gewinnen ausgeht, um die Verlustvorträge gegenzurechnen

Hier einmal ein passender Auszug dazu aus dem Anhang zum Konzernabschluss der Freenet AG für 2019:

Die latenten Steuern auf Verlustvorträge basieren auf einer Unternehmensplanung für die jeweils kommenden vier Geschäftsjahre, in die zukunftsbezogene Annahmen, zum Beispiel bezüglich der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sowie der Entwicklung des Telekommunikationsmarktes, Eingang gefunden haben. […] Eine Sensitivitätsbetrachtung bezüglich der latenten Ertragsteueransprüche ergibt, dass die latenten Ertragsteueransprüche bei einer Erhöhung bzw. Verminderung des Gewerbeertrags bzw. des körperschaftsteuerlichen Einkommens um jeweils 10% im maßgeblichen Planungszeitraum um ca. 18,4 Mio. EUR höher bzw. um ca. 18,4 Mio. EUR geringer ausfallen würden.

Die latenten Steuern auf Verlustvorträge werden also entsprechend der in den nächsten vier Jahren erwarteten Gewinne und der daraus resultierenden Ertragsteuern angesetzt. Wie in meinem Artikel zu den Ertragsteuern bereits beschrieben, muss im Falle einer Anpassung der Planung eine Wertberichtigung bzw. eine Nachaktivierung vorgenommen werden.

Laut Geschäftsbericht hat Freenet übrigens weitete 0,8 bis 1,0 Mrd. EUR an Verlustvorträgen, für die zwar bisher noch keine latenten Steuern angesetzt wurden, die aber trotzdem verrechnet werden können, wenn z.B. Gewinne über die strategische bzw. operative Planung hinaus erzielt werden.

Begrenzung der Nutzung von Verlustvorträgen

Auch bei der Nutzung vorhandener Verlustvorträge bzw. Net Operating Losses sind einige Dinge zu beachten.

Hier gibt es einen Unterschied zwischen der deutschen und der US-amerikanischen Gesetzgebung. In Deutschland ist eine Verrechnung von maximal 60% des Vorsteuergewinns mit vorhandenen Verlustvorträgen möglich (wobei die erste Million EUR komplett angesetzt werden kann).

In den USA können seit der Steuerreform in 2017 noch 80% des Vorsteuergewinns (EBT) mit Verlustvorträgen verrechnet werden. Dafür sind diese aber nun in ihrer Laufzeit unbegrenzt.

Für REITs – also Unternehmen, für die die Dividende nicht versteuert werden muss, sofern mindestens 90% des Vorsteuergewinns ausgeschüttet werden – werden die Verlustvorträge vor dem Abzug der Dividende verrechnet.

Berücksichtigung von Verlustvorträgen (NOLs) im Finanzmodell

Wie in meinem Übersichtsartikel zu den Ertragsteuern bereits beschrieben, gibt es dauerhafte und temporäre Differenzen zum gesetzlichen bzw. marginalen Steuersatz:

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Wie ihr an der Abbildung sehen könnt, werden die Veränderungen der latenten Steuern – und darum geht es bei der Nutzung von NOLs ja im Wesentlichen – nicht in den effektiven Steuern laut GuV abgebildet, sondern erscheinen erst als Veränderung der latenten Steuern in der Kapitalflussrechnung… das etwas vereinfachte Einführungsbeispiel weiter oben ist insofern nur zum Verständnis der Grundproblematik gedacht. 🙂

Dem entsprechend besteht auch unser Vorgehen in der Prognose des Steuersatzes in die Zukunft in zwei Schritten:

  • Forecast des effektiven Steuersatzes (inkl. des operativen Steuersatzes, den wir für die Ermittlung des NOPAT benötigen) -> ergibt den Steuersatz laut GuV
  • Forecast der Veränderung latenter Steuern (inkl. der latenten Steuern auf Verlustvorträge) -> ergibt die tatsächlich zahlbaren Steuern laut Cash Flow Statement

Für die Ermittlung der Veränderung der latenten Steuern auf Verlustvorträge machen wir uns am besten eine kleine Nebenrechnung auf, in der wir die Veränderung der Verlustvorträge sowie auch die Veränderung der latenten Steuern separat tracken.

Wie so etwas aussehen könnte, das zeigt das folgende fiktive Beispiel.

Beispiel NOLs

Ein Unternehmen erzielt im ersten Jahr einen Vorsteuergewinn von 500 Mio. EUR. Da noch Verlustvorträge aus der Vergangenheit in Höhe von 1.400 Mio. EUR vorhanden sind, kann das Unternehmen den Vorsteuergewinn für die Steuerberechnung um den maximalen Betrag von 300 Mio. EUR (entspricht den maximal ansetzbaren 60% des Vorsteuergewinns) mindern.

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Vor den eigentlich zu zahlenden und in der GuV ausgewiesenen Ertragsteuern in Höhe von 125 Mio. EUR (= 25% x 500) muss das Unternehmen also nur 50 Mio. EUR direkt ans Finanzamt überweisen. Der Rest wird über die Nutzung der Net Operating Losses und die Auflösung der zugehörigen latenten Steuerforderungen (DTAs) in Höhe von 300 Mio. EUR bzw. 75 Mio. EUR (= 300 Mio. EUR x erwarteter effektiver Steuersatz von 25%) bewerkstelligt.

Ihr fragt euch nun wahrscheinlich, warum die latenten Steuerschulden im Ergebnis ansteigen. Auch dieser Effekt lässt sich recht einfach erklären:

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Die in der Bilanz auf der Passivseite ausgewiesenen Steuerschulden stellen eine Nettoposition dar. Weil die Verbindlichkeit mit positivem Vorzeichen dargestellt wird, werden die Steuerforderungen aus Verlustvorträgen entsprechend mit negativem Vorzeichen gegengerechnet. Verringern sich also die Steuerforderungen, weil die Verlustvorsträge nach und nach aufgebraucht werden, dann erhöht sich ceteris paribus die Nettoverbindlichkeit.

Key Take Aways

Verlustvorträge sind Verluste der Vergangenheit, die mit zukünftigen Gewinnen verrechnet werden können, um die Steuerlast zu senken. Je Jahr können maximal 60% des Vorsteuergewinns (maximal 80% in den USA) mit Verlustvorträgen verrechnet werden.

Latente Steuern auf Verlustvorträge (nicht mit den eigentlichen Verlustvorträgen zu verwechseln) können in der Bilanz als Assets angesetzt werden, sofern eine Realisierung in absehbarer Zeit, meist dem strategischen Planungszeitraum von 4-5 Jahren, möglich ist und erwartet wird.

Die Höhe der Verlustvorträge finden wir in der Regel im Anhang zum Konzernabschluss im Kapitel zu den latenten Steuern.

In unserem Finanzmodell sollten wir zunächst die Verlustvorträge in der erlaubten Größenordnung gegenrechnen und die daraus resultierende Steuerersparnis ermitteln. Diese hat allerdings keine Auswirkungen auf die effektiven Steuern in der GuV, sondern erscheint als Veränderung der latenten Steuern in der Kapitalflussrechnung.


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